10. Juli 2005: Ironman Germany
Bericht von Iris Hadbawnik
Die Tage vor dem Ironman haben mich schier in den Wahnsinn getrieben. Ich war nur noch nervös. Dachte ich an Sonntag war mein Puls bei 180 – ungelogen. Hinzu kamen die Bedenken: Hab ich genügend trainiert? Hab ich genügend lange Laufeinheiten? Was ist, wenn ich Wasser im Ohr hab…? Panik beim Schwimmen…? Fragen über Fragen…
Mit meinem Trainingspartner Frank hab ich etliche Trainingseinheiten absolviert. Radfahren am Wochenende, um 5 Uhr aufstehen, um die Ironman-Runde zu fahren. Gemeinsames Schwimmen im Langener Waldsee, gemeinsamer Triathlon in Lampertheim. Aber ist das genug für einen Ironman?
Schon beim Abholen der Startunerlagen mach ich mir fast in die Hose. Auf der Expo treffe ich viele Bekannte vom Training und Seminaren. Und ganz langsam fange ich an, mich auf den Wettkampf zu freuen.
Bei der Wettkampfbesprechung am nächsten Tag beschleicht mich wieder ein panikartiges Gefühl: warum sehen nur alle so fit und sportlich aus…?? Aber egal, da muss ich jetzt durch!
Am Samstag fahren wir zum Bike-Check-in. Ich mache Panik, weil ich denke, wir kommen zu spät. Aber alles kein Problem. Alles klappt wunderbar. Ich checke mein Rad ein, sehe mir meinen Wechselplatz an und gebe meine Tüten ab (hab ich jetzt wirklich alles eingepackt – und auch das Richtige in der dafür vorgesehenen Tüte?).
Danach gehen wir noch mal runter zum See. Man sieht die Abmessungen und die Vorbereitungen für den großen Tag – und ich kann es kaum ertragen, so nervös und aufgeregt bin ich…
Um 3:30 Uhr klingelt am Sonntag der Wecker. Ich bin sofort hellwach. Stehe auf, gehe ins Bad und beginne danach sofort mit dem Frühstück. – und mit dem Erzählen. Was wird der Tag wohl bringen?
Mein Schwager fährt mich zum Shuttlebus an die Paulskirche, der uns zum Langener Waldsee bringen soll. Dort will ich mich mit Frank treffen, der auch nach wenigen Minuten auftaucht.
Im Bus ist die Stimmung super witzig. Es gibt blöde Sprüche und wir lachen viel. Am Waldsee angekommen kümmere ich mich erst mal um mein Rad. Bereite die Wechselzone vor, kucke mir die anderen Athleten an und gehe – ungelogen – 4 Mal vor dem Start auf die Toilette. Die Stimmung ist gut und die Musik ist laut. Es läuft ständig „Emanuela“. Dieses Lied werde ich mein Leben lang nicht vergessen…
Um 6:30 Uhr ziehe ich so langsam meinen Neo an. Meine Nachbarin kommt jetzt erst zu ihrem Rad – sie stand im Stau. Ein Unfall mit Vollsperrung auf der Autobahn, wie sich später herausstellte.
Um 6:45 Uhr werden wir vom Platz an den Start „gejagt“. Ich reihe mich in der Schlange der Neo-Männer ein. Es geht langsam voran. An der Absperrung zum Start stehen bereits die ersten Zuschauer. Manche lachen mich an, manche schauen auch etwas mitleidig. Und dann sehe ich das erste Mal den Startbereich im See. Im Wasser herrscht das totale Gewimmel. Dabei stehen vor mir noch mehrere Hundert Leute am Start. Mir wird schlecht. Und plötzlich krieg ich leichte Panik… Naja, nützt ja jetzt auch nichts mehr. Gleich wird’s ernst!!
Der Einstieg ist total matschig. Und fast wäre ich hingefallen, wenn ich mich nicht an meinem Nachbar festgehalten hätte. Ich stürze mich ins Wasser, um an die andere Seite des Ufers zu schwimmen. Wassertemperatur soll angeblich um die 22 Grad sein. Ich finde es sau kalt! Ich taste ich mich langsam wieder ans Ufer – raus aus der Kälte. Ein Japaner fragt mich, wo er denn genau hinschwimmen soll. Keine Ahnung – einfach der Masse hinterher!
Plötzlich fällt auch schon der Startschuss und alle um uns herum wünschen sich viel Glück. Jetzt geht’s los! Der Ironman Germany 2005 hat begonnen.
Ich starte viel zu weit hinten und zu weit links. Aber ich habe meine Ruhe. Spüre keine Tritte oder ähnliches. Langsam finde ich in meinen Takt und fühle mich wohl. Nach ein paar Metern merke ich, dass ich lieber mal Kurs Richtung Schwimmfeld aufnehmen sollte. Doch da wird es leider auch gleich etwas hektischer.
Die Wellen sind recht hoch und anfangs schlucke ich viel Wasser. Insbesondere an den Bojen wird es eng. Und so hangele ich mich von Boje zu Boje, bis man in der Ferne den Ausstieg der ersten Runde sehen kann. Kaum aus dem Wasser sagt mein Nachbar: „Die erste Runde haben wir hinter uns!“ Und schon höre ich meinen Namen und erblicke meine Schwester am Rand. Ich jubel ihr zu. Ein paar Schritte weiter sehe ich meine Freundin Christine. Total witzig!
Aber weiter geht’s zur zweiten Runde. Ich schwimme langsam – ja fast gemütlich. Neben mir schwimmt die meiste Zeit ein Athlet, der brustschwimmenderweise unterwegs ist. Wir haben das gleiche Tempo. Auch gut. Aber langsam wird es kalt. Und mir reicht es jetzt – ich hätte nicht gedacht, dass sich das Schwimmen so endlos hinzieht. Aber nach etlichen Bojen kann man dann auch den Schwimmausstieg ausmachen. Ich schwimme fast bis zum Ufer. Meine Zeit ist 1:36,36 und ich fühle mich super. Fit komme ich aus dem Wasser, kein Torkeln, kein Wasser im Ohr. Ich zerre mir den Neo vom Körper und sehe auch schon mein Betreuerteam. Ich jubel und sprinte weiter zu meinem Rad. Jetzt erst mal durchatmen, ausziehen, Füße gut abtrocknen. Helm auf, Radschuhe an, Schwätzchen mit meiner Betreuerin halten. Ich brauch über 8 Minuten in der Wechselzone. Erst als meine Schwester am Zaun ruft: „Ist alles klar?“, breche ich langsam zum Radfahren auf.
Ich fahre los und fühle mich gut. Ich bin gespannt auf den Tag und freue mich aufs Radfahren. Auf der B44 Richtung Frankfurt fahre ich plötzlich wie gegen eine Wand. Gegenwind! Oh nein! Und so ging es die ersten 60 Kilometer weiter….
Trotzdem kann ich einige überholen und habe jedes Mal Angst vor den Wettkampfrichtern – wegen des Windschattenverbotes. Mach ich alles richtig? Fahre ich korrekt? Anscheinend nicht. Direkt auf der Hanauer Landstraße macht mir einer der Wettkampfrichter ein Zeichen, dass ich beim Überholen zu dicht dran war. Ich schaue ihn mit Unschuldsmiene an und tue so, als verstehe ich ihn nicht…
Die Stimmung an der Strecke ist anfangs verhalten. Aber je mehr man aus der Stadt raus fährt, desto mehr nimmt der Trubel zu. Auf den Dörfern herrscht richtige Volksfeststimmung. Und jedes Mal, wenn ich vorbeifahre ist der Jubel groß: „Ein Mädel, ein Mädel!“
Ich genieße das Radfahren und entspanne mich. Dann plötzlich wieder ein Auto mit „Offiziellen“ neben mir. Ich versuche mich zu konzentrieren. Jetzt bloß keine Fehler machen. Beim Überholen achte ich peinlichst genau auf den vorgeschriebenen Abstand. Und trotzdem: das Auto fährt hartnäckig neben mir her.
Ich ärgere mich, kriege langsam Panik und frage mich, wann ich endlich herausgewunken werde, um meine Zeitstrafe abzusitzen. Nach etwa 20 Kilometern sehe ich mir total entnervt die Insassen des Autos mal etwas näher an. Da sitzen zwei junge Typen drin, die mir freudig zuwinken. Der eine kurbelt das Fenster runter und ruft: „Das sieht super aus. Richtig runder Tritt!“ Vor Erleichterung muss ich laut lachen.
Fast hätte ich vor lauter Gedanken um eine Zeitstrafe meine Verpflegung vergessen. Auf der Radstrecke nehme ich insgesamt 12 Power-Gel und einen Riegel zum mir. Sowie riesige Mengen an Wasser, RedBull und Cola.
Die Weiterfahrt ist einfach nur witzig. Irgendwo ruft ein Moderator: Da kommt die Iris mit einem Lachen auf dem Gesicht. Andere halten mir Bierflaschen oder Schnapsgläser hin. Der absolute Hammer allerdings ist Bad Vilbel. Unten am Berg steht mein Betreuerteam und jubelt. Zwischen einem Spalier von grölenden Menschen fahre ich den Berg hinauf. Einer läuft – ganz wie bei der Tour de France – vor mir den Berg hinauf, um mich anzufeuern. Ich hab diesen Berg noch nie so genossen. Ich könnte gleichzeitig lachen und heulen vor Freude. Gänsehautfeeling pur!
In der zweiten Runde wird die Radstrecke langsam leerer. Die Abstände zwischen den Fahrern werden größer und etliche Athleten stehen mit technischen Defekten am Straßenrand. Ich kurbele in aller Ruhe vor mich hin, bis meine „Freunde“ der Streckenkontrolle wieder neben mir sind. Sie fragen, wie es mir geht und geben mir den aktuellen Stand des Profirennens durch. „Wir sehen uns im Ziel!“, ruft der eine mir zu.
Bei Kilometer 160 muss ich dringend auf die Toilette. Dixi-Häuschen am Straßenrand sind meine Rettung. Und erst jetzt merke ich, wie sehr doch die Oberschenkel schmerzen und zittern – damit soll ich jetzt noch einen Marathon laufen?!?
Als ich aus dem Häuschen kam stand ein Zuschauer auf der anderen Straßenseite, der mich anschrie: „Don´t give up! Go on!“ Ohne jeglichen Gedanken ans Aufgeben schwinge ich mich wieder auf mein Rad und freue mich auf die letzten Kilometer.
Dann endlich hab ich das Ziel vor Augen: die Wechselzone. Ich danke meinem Rad für die tolle Fahrt und dafür, dass wir keine technischen Probleme hatten. Wie viele Sorgen hatte ich mir im Vorfeld darüber gemacht!
Auf dem Weg zur Wechselzone sehe ich direkt mein Betreuerteam. Mir geht es richtig gut – aber wird es auch zum Laufen reichen?
In der Wechselzone nehme ich meinen Beutel, ziehe meine Laufsachen an. Meine etwas unsichere Helferin sprüht mich derzeit mit Sonnencreme ein und holt mir ein Wasser zum Trinken. Ich versorge mich mit weiteren Power-Gels und raus geht’s auf die Strecke. Die Stimmung ist super und ich fühle mich gut. Etliche Male muss ich einfach über die Zuschauer lachen. Die erste, von insgesamt 3 Runden, läuft wie geschmiert. Mein Kilometerschnitt pendelt sich zwischen 6:00-6:10 Minuten ein. Ich nehme an jeder Verpflegungstelle Wasser, Cola oder Red Bull und ein bis zwei Schwämme, denn mittlerweile ist es richtig heiß geworden.
Plötzlich sehe ich meine Freundin Christine, die als Helferin eingesetzt ist. Sie läuft ein Stück mit neben mir her und sagt mir, wie fit ich noch aussähe. Das tut gut!
Die ganze Laufstrecke ist gesäumt von Freunden und Bekannten. Kaum habe ich Zeit, mir über meine nachlassenden Kräfte Gedanken zu machen – ständig werde ich abgelenkt. Und bin unheimlich dankbar dafür.
Mit jedem Kilometer werden mir aber trotzdem die Beine schwerer und irgendwann bin ich einfach nur noch fertig – körperlich und mental. Fast bin ich froh, wenn niemand mich mehr anspricht. Aber mein Schwager Frank ist unermüdlich, er läuft eine kurze Strecke neben mir her und wenn ich dann doch noch etwas schmunzeln kann ruft er: „Sie lacht noch! Wer noch lachen kann, der hat auch noch Kraft!“
Auf der letzten Laufrunde überlege ich mir die ganze Zeit, wann ich „zur Belohnung“ einfach mal ein paar Schritte gehen soll – bestenfalls natürlich an einer Stelle, an der niemand meiner Bekannten zu sehen ist. Die letzte Brücke, das sollte meine „Rettung“ sein. Kaum oben sehe ich aber am Straßenrand einen Bekannten, der mir von Weitem schon zujubelt… von Gehen kann jetzt keine Rede mehr sein – diese Blöße konnte ich mir nicht geben.
Auf dem Weg zur Weseler Werft – den letzten Kilometern – wäre ich, nachdem ich über eine Teppichkante stolperte, fast hingefallen. Ein heftiger Schmerz durchzieht meinen Rücken – aber ich bin wieder hellwach.
Noch zwei Kilometer bis ins Ziel. Einer ruft mir zu: „Wir schaffen das noch unter 13 Stunden!“ Ich schaue auf die Uhr und sehe, wir haben noch 15 Minuten Zeit. Keine Ahnung, wo mittlerweile mein Kilometerschnitt liegt… Mist, das könnte knapp werden… Kaum zu glauben, aber wahr, trotz meiner körperlichen Schmerzen kann ich tatsächlich noch mal das Tempo anziehen.
Als ich in Richtung Ziel einbiege ruft mir ein Helfer begeistert zu: „Da ist die Iris wieder! Wir sehen uns im nächsten Jahr!“ Und dann ist es nur noch Wahnsinn. Hände strecken sich mir entgegen. Ich kann einige Freunde in der Menge entdecken und jeder jubelt mir zu. Ein Moderator von HR3 klatscht mich ab – und dann wartet das Ziel auf mich! Einfach nur Genial! Einfach nur Wahnsinn! Ich überschreite die Ziellinie bei 12:58:17 Stunden und bin einfach nur noch glücklich.
Der Wettkampf als Bildergeschichte.