September 2009: 100 Miles of Mors

19.- 20. September 2009: 100 Miles of Mors

Unser Ergebnis:

Frank Nicklisch: 18:54:06 h
Gesamtrang 6
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Laufbericht von Frank Nicklisch:

100 Miles rund Mors – ein perfekter Tag

Ich glaube jeder Läufer kennt die Situation: Man hat sich monatelang auf einen Wettkampf vorbereitet und dann kommt der große Tag und irgend etwas passt nicht. Man hat sich in dem letzten Tagen eine Erkältung zugezogen, die Achillessehne zwickt, Magenschmerzen, schlecht geschlafen, nicht in Form, schlechtes Wetter – was auch immer. Die Wahrscheinlichkeit, dass nichts von all dem eintritt ist erschreckend gering.
Ich hatte das seltene Glück einen perfekten Tag zu erwischen!

Bereits am Donnerstag habe ich mich auf die knapp 1000km lange Anreise gemacht um am 100 Meilen Lauf um die Insel Mors teilzunehmen. Ich war gesund, gut in Form, die Wettervorhersage versprach einen sonnigen, regenfreien Tag und eine kühle Nacht bei geringem Wind.

Nach einen Zwischenstopp in Tönning erreichte ich Nykøbing auf der Insel Mors am späten Freitagnachmittag. Ich steuerte gleich den Campingplatz an, auf dem ich übernachten wollte. Dort erwartete man mich bereits. Als ich an der Einfahrt stand kam ein Fahrzeug mit den ungarischen Profis vorbei, die wahrscheinlich das Rennen unter sich ausmachen würden. Sie schienen nichts von der Welt um sich herum wahrzunehmen.

Der Campingplatz lag direkt am Strand und etwa 200m vom Startbereich entfernt, den ich kurz darauf aufsuchte.

Als ich die Fahnen und das Zieltor sah, überkam mich eine heftige Nervosität. Bin ich mir überhaupt im klaren darüber was ich hier mache? Ich ging in den Aufenthaltsraum neben dem Start um meine Startunterlagen abzuholen und traf dort Carsten, den zweiten Deutschen im Feld. Auch er war sehr nervös, obwohl er ein routinierter Ultraläufer ist und er morgen seinen dritten 100 Meilen Lauf in diesem Jahr bestreiten wird.

Wir wurden über die Strecke und den Ablauf informiert und begaben uns dann zurück zum Campingplatz, auf dem auch Carsten übernachten wollte. Dort trafen wir Tom, einen dänischen Ultra-Triathleten, der noch im Juli den Triple Ironman in Lensahn gefinished hatte, als er dabei war sein Zelt aufzustellen. Ich fragte ihn, ob es im Zelt nicht zu kalt werden würde, aber er sah das sehr locker. Ich würde im Auto schlafen, denn es sollten 4°C in dieser Nacht werden.

Am Abend ging ich mit Carsten noch etwas am Strand entlang, während die Ungarn auf der Strandpromenade noch Trainingsrunden absolvierten.

Zurück am Campingplatz sortierte ich meine Sachen für morgen, packte meine beiden drop-bags für  Kilometer 90 und 120, aß meine mitgebrachten Pellkartoffeln und legte mich gegen 21:00 schlafen. Meinen Wecker hatte ich auf 7:30 gestellt, doch ich wachte nach tiefem und erholsamem Schlaf gegen 6:00 auf. Gerade wollte ich Tom wecken, der mich gestern darum gebeten hatte, als er mir aus dem Auto entgegenkam. Im Zelt war es wohl doch zu kalt gewesen.

In aller Ruhe machte ich mich fertig, frühstückte die aus Deutschland mitgebrachten Zimtschnecken und trank beim Campingplatzbesitzer einen Kaffee. Wir unterhielten uns lange über die vor mir liegende Strecke und beim hinausgehen teilte er mir mit, dass ich für die Übernachtung auf dem Platz nichts bezahlen müsste.
So ging es gegen 9:00 an den Start dieses perfekt organisierten Laufevents. Von den 40 gemeldeten, und 33 angetretenen Startern würden jedoch nur 21 das Ziel erreichen. Vor dem Start wurden wir noch kurz vom Rennarzt persönlich begrüßt und auf die Gefahren hingewiesen.

Gleich nach dem Start zogen die drei ungarischen Profiläufer, die gelockt vom relativ hohen Preisgeld, und unterstützt vom eigenem Betreuerstab mit mehreren Autos und Radbegleiter, davon und machten ihr eigenes Rennen in einer völlig anderen Liga. Lediglich zwei dänische Top-Läufer konnten ihnen folgen.

Ich hielt mich am Anfang in der Mitte des Feldes und konzentrierte mich darauf mein eigenes Rennen zu laufen. Mit einem Tempo von 5:45-5:55 lag ich genau im geplanten Rahmen. Andere Läufer zogen das Tempo an, aber ich ließ mich nicht mitreißen. Ab und zu kam ich mit anderen Läufern ins Gespräch, aber die meiste Zeit lief ich allein.

Bereits nach 10km war das Feld weit auseinander gerissen und Gruppen, die sich anfangs noch gebildet hatten fielen zusehends auseinander. Bei km20 zog ich dann das Tempo etwas an und lief mit etwa 5:30. Bis km 35 hatte ich das Tempo auf 5:10 angezogen.

In der Ferne sah ich Carsten laufen und kam schnell näher. Das sah nicht gut aus, denn er wollte unter 18 Stunden laufen und war in der zweiten Spitzengruppe gestartet. Er hatte Magenprobleme und konnte nicht mehr schnell laufen. Das kam mir entgegen, da der Hammermann schon leise anklopfte. Gemeinsam liefen wir die nächsten 6 km, bevor ich mich wieder von ihm löste und allein weiterlief.

Ich erreichte den nördlichsten Punkt der Route und damit die Marathonmarke nach etwa 4 Stunden. Ich war mit der Einteilung der ersten km sehr zufrieden, alles lief rund.

Auf den nächsten 3 km konnte ich jetzt die Läufer hinter mir sehen, die mir auf dieser Wendepunktstrecke entgegenkamen. Ich hatte knapp einen Kilometer Vorsprung von meinem nächsten Verfolger und lag auf Platz 8.

Bei km45 begannen die Hügel. Wer, wie ich, geglaubt hatte, dass Dänemark eher flach ist wurde hier eines besseren belehrt. Die Insel Mors ragt zwar nur 89m aus dem Limfjord, aber Hügel in dieser Größenordnung gab es hier in rauen Mengen.

Konsequent stellte ich den Laufstil um: Bergauf gehen um Kraft zu sparen, bergab laufen mit einem Tempo bis 4:30. Von einer Anhöhe konnte ich einen Teil der Strecke überblicken und konnte sehen, dass mein nächster Verfolger die Steigung hinauflief. Jetzt würde es sich zeigen: war er stärker, oder ich cleverer.

Es folgten sehr profilierte Abschnitte, teils auf Gras- und Schotterwegen, teils als Single-Trails durch den Wald. Kilometer 50 erreichte ich nach 5:05h. Ich war hochzufrieden, hatte ich doch Teil eins meines irrwitzigen Plans erreicht. Jetzt sollte Teil zwei folgen: die nächsten 50 km in sechs Stunden.

Ab km 55 fiel mir ein Fahrzeug auf, das am Streckenrand stand und dessen Insassen offensichtlich auf einen Läufer warteten. Großmutter, Mutter und ein etwa 5-jähriges Kind winkten fröhlich als ich vorbeikam. Ich winkte zurück. Doch schon nach wenigen Kilometern überholten sie mich erneut. Wieder hielten sie ein Stück vor mir an und winkten mir zu. So langsam begriff ich, dass dies die Betreuer meines Verfolgers waren. Ich begann die Zeit zu stoppen von dem Zeitpunkt als ich sie passierte bis zum nächsten Mal als sie mich überholten. So konnte ich den Abstand zum Verfolger abschätzen.

Als ich den Verpflegungspunkt bei km 70 erreichte hatte ich gerade einen steilen Aufstieg auf einem Single Trail hinter mir. Auf der Liste mit den Durchlaufzeiten aller Läufer konnte ich sehen, dass ich auf Platz 7 lag und dass der 6. nur zwei Minuten vor mir durchgekommen war. Ich hatte einen Tiefpunkt bereits überwunden und konnte relativ entspannt laufen.

Bald sah ich den Läufer vor mir in der Ferne. Er sah noch stark aus und machte nicht den Eindruck, als ob er sich leicht überholen lassen wollte. Immer wieder verlor ich ihn auf der gewundenen, hügeligen Strecke aus den Augen. Doch bei km 73 sah ich ihn weniger als hundert Meter vor mir. Er wurde von seiner Betreuerin begleitet und lief nicht mehr locker. An den Steigungen ging er, ebenso wie ich, doch an der Art wie die Betreuerin auf ihn einredete, sah ich, dass er in einer Krise steckte. Das war meine Chance. Auf einem kleinen Gefällestück zog ich an ihm vorbei und lief dann die folgende Steigung hinauf. Binnen Sekunden war ich aus seiner Sicht.

Doch er konnte sich wieder fangen, und bei km 80 sah ich ihn in der Ferne kommen, als ich am Verpflegungsstand war. Ich hatte nur 500m Vorsprung.

Jetzt lag ich auf Platz 6 und bei km 85 fragten mich die Betreuer am Versorgungsstand, ob ich ein GPS-Gerät haben wollte. Diese Geräte waren an die ersten 10 Läufer verteilt worden und man konnte so die Position der Läufer im Internet verfolgen. Ich erhielt das Gerät eines nicht angetretenen Läufers.

Jetzt waren es nur noch 5 km bis zu meiner ersten drop-bag, die ein langes Shirt, eine Warnweste und eine Lampe beinhaltete. Zusätzlich hatte ich noch Vorräte an Power-Gel deponiert. Als ich dort ankam nahm ich mir viel Zeit um mich umzuziehen und meine Taschen mit Power-Gel zu füllen. Zu viel Zeit, denn mein Verfolger machte nur einen kurzen Trinkstopp und war sofort weiter. Ich war wieder auf Platz 7.

Ich lief hinter ihm her, konnte aber sein Tempo nicht halten. Aber ich sagte mir: „ich habe dich einmal überholt, ich werde dich auch ein zweites mal überholen und irgendwann wirst auch du dich umziehen“.

Als ich km 100 erreichte war ich bereits 11:14h auf der Strecke.Auch der zweite Teil meines Plans war in etwa aufgegangen. Ich fühlte mich noch relativ gut und vor allem schmerzfrei und meine Zeit lag voll im Plan. Der nächste 50 km Abschnitt sollte jetzt in sieben Stunden bewältigt werden, das hieße dann eine Endzeit von knapp 20h.
Jetzt wurde es auch dunkel und ich musste mit Stirnlampe die letzten 61km durch die Nacht laufen. Es war dunkel, absolut dunkel, keine Straßenlaternen, kein Streulicht von Häusern oder Orten, kein Mond – nur unendlich viele Sterne. Schön anzusehen, aber leider ohne praktischen Nutzen hinsichtlich der Beleuchtung.

Der sechste war bei km 100 bereits 7 Minuten vor mir durchgekommen, aber man erzählte mir, dass er sein Depot bei km 105 hat. Jetzt war mir auch klar warum er so ein mörderisches Tempo vorlegte – er wollte sein Depot im Hellen erreichen. Als ich bei km 105 ankam lag ich wieder auf Platz 6. Ich war sehr irritiert und versuchte dem Mann zu erklären, dass da jemand verloren gegangen sei. Es war mittlerweile stockfinster und eine Orientierung ohne Licht war absolut unmöglich. Noch wie wir diskutierten, sah ich in der Ferne ein fahles Licht. Da kam er mit seiner Betreuerin, die eine Taschenlampe trug. Ich machte mich wieder auf den Weg.

Die Strecke wurde jetzt sehr beschwerlich, da man ständig auf der Suche nach den spärlichen Wegmarkierungen war und ständig in der Angst lebte, dass man auf dem falschen Weg lief.

Um 23:00, nach 14 Stunden auf der Strecke, erreichte ich km120 und dort am Verpflegungsstand meine letzte Drop-Bag mit Jacke, Handschuhen, langer Hose. Jetzt würde es auch noch bitterkalt werden. Die erwarteten Temperaturen lagen bei 4-6°C. Ich trug jetzt 5 Lagen Kleidung (vom Unterhemd bis zur Warnweste), zwei Lauftights (kurz und lang) und Handschuhe. Trotzdem sollte ich in dieser Nacht noch frieren.

Mittlerweile merkte ich die Erschöpfung in den Muskeln. Bisher hatte ich weder Schmerzen, noch Krämpfe, aber ich spürte dass ich nicht weit davon entfernt war. Unter beiden Fußsohlen waren auch schon großflächige Blasen, die ich aber noch ignorieren konnte. Lediglich das Laufen auf Schotter war sehr schmerzhaft.

Bei km125 sah ich meinen Verfolger auf einer langen Gerade hinter mir kommen. Jetzt musste eine Entscheidung fallen: Sich ins Ziel schleppen und 1-2 Plätze verlieren oder alle Kräfte mobilisieren und bis zum Schluss kämpfen. Ich entschied mich für die zweite Alternative…

Der Abschnitt zwischen km125 und km130 sollte der schnellste des gesamten Rennens werden: 25Minuten, obwohl ich nach wie vor die Steigungen gegangen bin. Aber das Tempo bergab lag im Bereich um 4:30. Auch auf den nächsten 5km-Abschnitten konnte ich mit Zeiten zwischen 32 und 36 Minuten gute Zeiten erreichen. Insgesamt habe ich über die letzten 41km etwa 4:50h benötigt – bei einer Vorleistung von 120km…

Die Verpflegungsstände waren mittlerweile verwaist, so dass man sich selbst bedienen musste. Dafür fuhr ein mobiles Depot die Strecke ab, mit Kaffee, Tee und Bouillon. Ich bekam alles was ich brauchte. Bei km 140 füllte ich ein letztes Mal meine Flasche auf und ließ ab da alle Verpflegungsstände aus. Ich wollte keine Zeit an unbemannten Stationen verlieren.

Nach 18:54:06h erreichte ich kurz vor 4:00 Uhr das Ziel als sechster der Gesamtwertung und Sieger in meiner Altersklasse. Meinem Verfolger hatte ich auf den letzten 35km fast eine Stunde abgenommen.

Am nächsten Tag folgte die Siegerehrung und ich konnte das erste Preisgeld meines Läuferlebens entgegennehmen.

P.S. Sieger war der Ungar Attila Vozar, der in unglaublichen 13:28h das Ziel erreichte. Die Plätze 2-5 lagen innerhalb von 35 Minuten im Bereich von 15h, Platz 4 und 5 lediglich 2 Sekunden auseinander. Carsten erholte sich wieder und konnte viele Plätze gutmachen und erreichte das Ziel nach 21:14h als neunter. Tom musste bei km 155(!) aufgeben.

Website des Veranstalters: www.100miles.dk