29. Januar 2017: Tough Guy Race

„Eine Hommage an das Tough Guy Race“

von Marcus Gilde

 

Tough Guy Race,

das Letzte der legendären Rennen ist vorüber. Eine Idee, eine Ära geht zu Ende. Tough Guy, das härteste Rennen der Welt. Tough Guy, erfunden von Billy Wilson (Mr. Mouse), kontinuierlich weiter entwickelt, immer dem Gedanken der Charity gefolgt, für die Menschen, für die Tiere, für ein unnachahmliches Erlebnis.

„Wir bringen euch an eure physischen und psychischen Grenzen, fangen euch auf und bringen euch zurück.“
„Findet heraus wie ihr tickt.“

Als ich 2003 das erste Mal vom Tough Guy Race hörte, war ich in der Marathonszene unterwegs. Die Belastungen in einem Marathon als Amateur- bzw. Hobbyläufer sind mehr oder weniger gleichmäßig. Es kommt darauf an, nicht zu überpacen, sich selbst zu bremsen und das im langen Training erworbene Wissen über den eigenen Körper anzuwenden. Die Herausforderungen beim ersten Tough Guy Race 2004 waren nur schwer einzuschätzen. Heute schmunzele ich über die diversen „Selbstversuche“ die ich mit meinem beruflichen Kollegen Jürgen unternahm, um die optimale Mischung zwischen zügigem Laufen und wärmender Kleidung zu finden. Nachdem wir die uns am besten erscheinende Kombination gefunden hatten, ging es an das Training.

Es war uns klar dass, entgegen der bisher trainierten gleichmäßigen Belastung, es darauf ankam so zu trainieren, dass der Körper Tempounterschiede, Geländegegebenheiten sowie plötzliches Abkühlen der Muskulatur gefolgt von sofortigem Belasten derselben wegstecken konnte. Damals gab es in Deutschland bestimmt nicht viele Sportler, die im Winter neben einem Bachlauf joggend plötzlich in das Wasser sprangen, aus dem Bach zurück kamen und weiter liefen. Die Reaktionen anderer Läufer bei der Begegnung mit dem Unbekannten waren lustig, motivierend und, das merkten wir erst später, süchtig machend. Ja, man wollte anders sein, etwas machen was man bisher noch nicht „so richtig“ kannte.

Toughguy 2007 133

Und dann war es soweit. Die Reise zum Tough Guy begann. Als wir das erste Mal die Farm an der Jenny Walkers Lane betraten, stockte uns der Atem. So große Hindernisse, so viele kleine Seen, so viel Unbekanntes. Zwei Tage später, trafen wir dann dort am Sonntagmorgen in den Umkleiden ein, um uns auf das Rennen vorzubereiten. Uns „Urban Läufern“ begegneten schon wieder unbekannte Zustände. Stickig, dreckig, Neoprengeruch und sehr kalt war es dort. Wir ahnten nicht, dass in dem Moment eine Leidenschaft begann, welcher wir 14 Jahre treu bleiben sollten. Es muss im Rennen 2004 oder kurz danach gewesen sein, dass wir gefesselt wurden. Gefesselt von dem Erlebnis „Tough Guy Race“.

Nach dem Rennen philosophierten wir über das, was uns da gerade widerfahren war. War es immer noch Adrenalin? Mehrere Stunden nach dem Rennen? Wir waren so gefesselt, so absolut emotional was dieses Rennen betraf, es musste etwas ganz Besonderes dahinter stecken. Dies zu ergründen, war dann wohl auch der Antrieb vor der Rückreise nach Deutschland, noch einmal kurz im TG Headquarter vorbei zu schauen und uns für 2005 vormerken zu lassen. Die Jahre vergingen wie im Flug. Jedes Jahr ungefähr im November begannen wir mit „Wasser“, wie wir zu sagen pflegten. Mal hatten wir mehr, mal weniger Begleiter beim Training, wie auch bei den Reisen nach England. Es ging immer weiter und an ein Ende der „Tradition“ war nicht zu denken.

Der große Schreck

Dann, etwa Mitte 2016, der große Schreck: 2017 wird das letzte klassische Tough Guy Race im Januar stattfinden. Mögliche Gründe für diese Entscheidung von Billy Wilson gibt es sicherlich viele, diese zu hinterfragen ist sinnlos, alles Spekulation. Respekt vor dieser Entscheidung eines Mannes, der für uns zu einer Person geworden ist, die man als Vorbild bezeichnen kann. Sicherlich keine Verehrung, aber tiefer Respekt bewegt uns.

Allerdings war die Saison 2017 für mich geprägt durch eine mangelnde bzw. gar keine Vorbereitung. Berufliche Veränderungen in Verbindung mit einem Umzug über 500km und zu allem Übel noch eine andauernde Plantarfasziitis, machten ein Durchkommen unmöglich. Aber am Start wollte ich dennoch dabei sein. Noch einmal das Erlebnis Tough Guy ein wenig mitbekommen.

Da standen wir nun mit etwa 6.000 anderen Startern. Das inzwischen zusammengeschweißte TG Team bestehend aus Jürgen, Michael, Sebastian und mir. Jürgen und ich planten kurz nach dem Start auszusteigen, da auch Jürgen wegen Knieproblemen nicht so richtig konnte. Außerdem hatte sein Chef nichts Besseres zu tun, als ihn für vier Wochen, bis kurz vor Rennbeginn, in den Argentinischen Sommer zu entsenden. Er fror am Start wie ein Schneider…..war dafür aber braun gebrannt. Sebastian und Michael wollten sich durchkämpfen. Letztendlich kam es dann auch so. Jürgen und ich brachen das Rennen nach ca. drei Kilometern ab. Michael und Sebastian kamen durch.

Wir schätzten uns glücklich, die Chance gehabt zu haben, uns noch vor dem Rennen kurz bei Billy Wilson für die vielen schönen Jahre persönlich bedanken zu können. Und dann war es vorbei. Aus und vorbei. Ein merkwürdiges Gefühl. Keine Weltuntergangsstimmung, aber traurig. Und langsam kam die Gewissheit auf, dieses akzeptieren müssen, dass uns eine Leidenschaft genommen wurde – und dass sich der Tough Guy doch tatsächlich klammheimlich fest verankert hatte in unserem Leben.

Unvergessliche Eindrücke

Am nächsten Morgen beschlossen wir beim Frühstück, dass wir noch einmal den Weg zur Tettenhall Horse Sanctuary befahren wollten, inclusive der Wasserlaufdurchquerung, kurz vor der Farm in Old Perton. Dort angekommen bestaunten wir noch einmal die gezeichneten Felder der Killing Fields. Wir gingen noch einmal in die verlassenen Umkleiden, das „Feldlazarett“ und den Zielbereich. Hier hatten sich uns in den letzten 14 Jahren immer wieder unglaubliche Bilder und Szenen geboten. Was bleibt ist die Erinnerung. Aber das mal so gesehen zu haben, war klasse. Wir machten einige Fotos zur Erinnerung an diesen wahrscheinlich letzten Besuch. Gerne hätten wir auch Pics vom Inneren der Baracken kurz nach dem Rennen gemacht – aber natürlich darf man keine Bilder schießen, wenn sich dort tausende Läufer in den Baracken beim Umziehen befinden.

Dieser Eindruck allerdings war immer umwerfend. Ein Nebel, nein Dampf von Körperausdünstungen, heißem Duschwasser (naja, heiß ist übertrieben ;-)) und dampfenden, wackelnden, halbvollen Kakaobechern (die wurden immer nur halbvoll ausgeschenkt weil die Läufer so sehr zitterten und sowieso die Hälfte verschüttet hätten). Alles zusammen auf schlammigem Boden, der von verdreckten Handtüchern teilweise bedeckt wird. Die Leute kämpfen, um aus den festgesaugten Anzügen zu kommen. Schnürsenkel sind verschlammt und vereist, sowieso können die klammen Finger die dünnen Bänder nicht lösen. Beim Entkleiden plötzlich auftretende Krämpfe sind nicht selten. Es ist, im Gegensatz zum Umziehen vor dem Start, nun warm, stickig und richtig dreckig, aber man friert trotzdem von innen heraus. Hat man die Klamotten endlich runter, versucht man fröstelnd über den schlammigen Boden, welcher gespickt ist mit kleinen versteckten Steinchen, zu den Duschen zu kommen. Oft ergattert man nur einen der bestimmt 100 winzigen Wasserstrahlen aus einem Duschkopf. Man glaubt gar nicht, wie gut man sich mit so wenig Wasser abwaschen kann.

Ich könnte noch ewig so weiter erzählen, Anekdoten aus den vielen Jahren beim Tough Guy Race in der Nähe von Wolverhampton, West Midlands, England. Ich könnte erzählen, von vielen unterschiedlichen Nationalitäten, die sich zum Rennen trafen, sich gegenseitig halfen das Rennen zu bestehen und danach wieder zurück in die Welt reisten, um von dem Erlebnis und der Wichtigkeit des problem- und kompromisslosen Miteinanders der verschiedenen Sprachen, Kulturen, Religionen und Hautfarben in diesem Event zu berichten. Ich könnte erzählen, von britischer Gastfreundschaft, von gewöhnungsbedürftigen Unterkünften und tausend anderen Dingen. Aber das würde zu weit führen. Es waren geniale, unvergessliche Momente, absolut läuferische Highlights und einzigartige Erfahrungen.

14 Jahre Tough Guy Race gingen zu Ende. 14 Jahre, in denen die Welt mit dem Begriff OCR konfrontiert wurde. Retortenrennen überall auf der Welt, die sich anschicken die Ideen von Billy Wilson zu stehlen, zu kopieren und auszuschlachten zum kommerziellen Nutzen. Es gab in unserem kleinen Kreis Selbstversuche an diesen Rennen. Ohne erkennbare Vergleichbarkeit. Diese Rennen erinnern mehr an Takeshi’s Castle, als an das Tough Guy Race. Ich bin nicht allwissend, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass kein Versuch je gelingen wird auf den Level des TGR zu kommen, weil es an geographischer Lage, Historie, Philosophie, Leidenschaft und Emotionen mangelt. Es ist halt ein Unterschied ob man mit Herzblut bei der Sache ist oder aus kommerziellen Gründen agiert. Intrinsisch, Extrinsisch. Zwei Welten.

The „Tough Guy Race“ has died, long live the “ Tough Guy Race“!

Zur Website des Veranstalters Tough Guy Race

 

Copyright Fotos: privat

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